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Über die Geschichte: Der Schneetänzer von Kuusamo ist ein Legend aus finland, der im Contemporary spielt. Diese Poetic Erzählung erforscht Themen wie Courage und ist geeignet für All Ages. Sie bietet Cultural Einblicke. Ein Tanz eines jungen Mädchens erweckt eine uralte Kraft im Herzen eines finnischen Winters.
Einführung
Im gefrorenen Herzen Finnlands, wo die Wälder von Kuusamo sich ausdehnten wie endlose weiße Wellen, tanzten die Nordlichter am Nachthimmel wie himmlische Geister. Die Luft roch nach Kiefer und Eis, die Winde flüsterten durch die Bäume und trugen die Geheimnisse des Winters mit sich.
So lange sich die Ältesten erinnern konnten, wurde die Legende der Schneetänzerin weitergegeben, in gedämpften Stimmen rund um das Feuer erzählt. Man sagte, sie sei mehr als nur ein Mythos – sie sei die Seele des Winters selbst.
Einige schworen, dass man in den längsten Nächten, wenn der Himmel mit grünen und violetten Flammen lebendig war, eine Gestalt sehen könne, die über die schneebedeckten Seen gleitete, ihre Bewegungen so fließend, dass das Eis selbst unter ihr zu kräuseln schien.
Sie sei weder Geist noch Frau, sagten sie, sondern etwas dazwischen – ein Wesen, gewebt aus den Fäden von Frost und Wind.
Die meisten betrachteten es als Folklore.
Doch Anja hatte immer geglaubt.
Und jetzt stand sie kurz davor zu entdecken, dass manche Legenden wahr waren.
Der erste Schneefall
Anja drückte ihr Gesicht gegen das mit Frost bedeckte Fenster ihrer hölzernen Hütte und beobachtete den ersten richtigen Schneefall der Saison.
Die Welt draußen veränderte sich, wechselte von den strengen Grautönen des Spätherbstes hin zu einem reinen, unberührten Weiß. Schneeflocken tanzten träge spiralförmig vom Himmel herab und klebten an den schweren Ästen der Kiefern, die ihr Zuhause umgaben.
Mummo Leena saß am Feuer und strickte im schwachen Schein des Kamins. Sie war den ganzen Abend still gewesen, ihre scharfen blauen Augen blickten immer wieder zum Fenster, als erwarte sie etwas – oder jemanden.
„Großmutter,“ sagte Anja, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern, „erzähl mir die Geschichte nochmal.“
Mummo Leena seufzte und legte ihre Strickarbeit nieder. „Die Geschichte der Schneetänzerin?“
Anja nickte eifrig.
Das Gesicht ihrer Großmutter war von den Lasten vieler Winter gezeichnet, doch wenn sie sprach, lag Wärme in ihrer Stimme.
„Man sagt, sie bewegt sich wie der Wind,“ begann Mummo Leena, ihre Finger zeichneten unsichtbare Formen in die Luft. „Mit jedem Schritt folgt ihr der Schnee, beugt sich ihrem Willen. Das Eis knackt nie unter ihren Füßen. Und wenn sie tanzt, brennt der nördliche Himmel heller.“
Anjas Herz raste.
Sie hatte die Geschichte schon hundertmal gehört, aber sie verlor nie ihre Magie.
„Hat sie jemand jemals gesehen?“
Mummo Leena zögerte. Dann, mit einem seltsamen Blick in ihren Augen, flüsterte sie: „Einige haben es. Aber nur diejenigen, die es sollten.“
Ein Flüstern im Wind
In jener Nacht, lange nachdem ihre Großmutter eingeschlafen war, hüllte sich Anja in ihren dicksten Mantel und trat nach draußen.
Die Kälte biss in ihre Wangen, aber das störte sie nicht. Der Mond hing tief über den Bäumen und warf ein blasses Licht auf den gefrorenen See. Alles war still, außer der winzigen Bewegung des Windes, der durch die Bäume strich.
Dann hörte sie es.
Ein Geräusch wie Lachen – sanft, luftig, fast musikalisch.
Sie drehte sich abrupt um.
Dort, am Rand der Bäume, stand eine Gestalt in Weiß gekleidet.
Anjas Atem stockte im Hals.
Das Haar der Frau schimmerte wie Eis, ihr Umhang bewegte sich, als wäre er aus dem Schnee selbst gemacht. Sie hob eine Hand, und als sie dies tat, regte sich der Wind. Der Schnee zu ihren Füßen begann zu wirbeln, erhob sich in filigranen Mustern, die durch die Luft spiralförmig tanzten.
Anja konnte sich nicht bewegen.
„Wer bist du?“ flüsterte sie.
Die Lippen der Frau zogen sich zu einem wissenden Lächeln.
„Ich bin Lumi,“ sagte sie, ihre Stimme leicht wie Frost auf Glas. „Und ich habe auf dich gewartet.“
Der Unterricht beginnt
Lumi führte Anja über den gefrorenen See, ihre Schritte machten keinen Laut auf dem Eis.
„Du kannst es hören, nicht wahr?“ fragte Lumi.
Anja runzelte die Stirn. „Hören was?“
„Den Schnee.“
Anja zögerte, dann nickte sie.
Es war schwer zu erklären, aber sie hatte immer etwas unter ihren Füßen gespürt, als würde das Land selbst atmen, als ob das Eis einen Puls hätte.
„Gut,“ sagte Lumi. „Dann bist du bereit.“
Sie streckte ihre Arme aus, und der Schnee reagierte. Er hob sich, verwandelte sich in zarte Ranken, die durch die Luft tanzten wie lebende Wesen.
Anja sah fasziniert zu.
Lumi wandte sich ihr zu. „Versuche es.“
Anja zögerte. „Ich weiß nicht wie.“
Lumis Augen wurden weich. „Du weißt es doch. Du hast es immer gewusst.“
Anja atmete tief durch, schloss die Augen und bewegte sich.
Sie ließ ihren Körper fließen, ihre Schritte leicht, ihre Arme ausstrecken.
Und als sie das tat, hob sich der Schnee, um sie zu treffen.
Der wartende Schatten
Doch nicht alle Geister des Winters waren freundlich.
Tief unter dem gefrorenen See regte sich etwas.
Etwas Uraltes.
Etwas Hungeriges.
Die Eiswraith hatte viele Jahre lang geschlafen, begraben unter den dicksten Frostschichten. Sie war dort vor langer Zeit von der ersten Schneetänzerin gebunden worden, in der Kälte gefangen, die sie einst beherrschte.
Doch jetzt spürte sie eine Veränderung in der Luft.
Eine neue Tänzerin war erwacht.
Und sie würde sie nicht kampflos aufsteigen lassen.
Die Schlacht von Frost und Licht
Anja wachte mitten in der Nacht auf und erschrak.
Der Wind hatte sich verändert.
Er war nicht mehr verspielt, flüsterte keine Geheimnisse mehr. Jetzt heulte er.
Sie stürmte nach draußen, und ihr Magen wurde eiskalt.
Eine Gestalt stand auf dem See.
Nicht Lumi.
Diese war dunkler, größer, mit gezackten Gliedmaßen, die aussahen, als wären sie aus rohem Eis gemeißelt.
Die Eiswraith.
Lumi erschien neben ihr.
„Es ist gekommen,“ sagte sie.
Anja schluckte schwer. „Was soll ich tun?“
Lumis Augen waren wild. „Tanze.“
Anjas Puls pochte.
Die Eiswraith hob einen Arm, und die Luft wurde bitterkalt. Der See unter ihnen ächzte, als Risse sich über seine Oberfläche schlängelten.
Anja holte tief Luft.
Und sie bewegte sich.
Ihre Schritte waren schnell, präzise, ihre Arme schnitten durch die Luft wie Lichtbänder.
Der Schnee gehorchte.
Er erhob sich in leuchtenden Spiralen, umhüllte die Wraith und fesselte sie in dem Sturm, den sie erschaffen hatte.
Die Wraith stieß einen unirdischen Schrei aus, kämpfte gegen den Wind und den Schnee. Aber Anja hörte nicht auf.
Sie tanzte.
Und mit einem letzten, kraftvollen Dreh kollabierte der Sturm nach innen, nahm die Wraith mit sich.
Für einen Moment war es still.
Dann setzte sich das Eis wieder.
Die Nacht war wieder still.
Die neue Schneetänzerin
Lumi wandte sich an Anja, ihr Gesichtsausdruck unergründlich.
„Du hast getan, was ich nicht konnte,“ sagte sie.
Anja atmete schnell. „Es ist weg?“
„Für jetzt,“ sagte Lumi.
Der Wind spielte an den Rändern von Anjas Umhang, als würde er warten.
Lumi lächelte. „Du spürst es, nicht wahr?“
Anja tat es.
Die Magie. Die Anziehung des Schnees. Das Summen des Eises unter ihren Füßen.
Sie war jetzt anders.
Sie war die Schneetänzerin.
Und als das erste Licht der Morgendämmerung über Kuusamo brach, wusste Anja, dass sie nie wieder allein gehen würde.
Der Schnee würde immer folgen.
Und die Legende würde weiterleben.